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In Gedanken überprüfte ich all meine Vorbereitungen: Das geöffnete Fenster, durch das es hereinhuschen sollte. Ein Kissen, fein säuberlich zurechtgezupft, sollte das Christkind dazu anregen, ihren Flügeln eine kleine Pause zu gönnen. Für das leibliche Wohl war mit Keksen und einem inzwischen kalt gewordenen Tee gesorgt.
Das alles gehörte zu meinem Plan. Das Christkind sollte ein wenig länger als üblich in meinem Zimmer bleiben, damit ich endlich erkennen konnte, ob es nun ein Mädchen oder ein Junge war, der oder die jedes Jahr die tollen Geschenke unter den Baum legte. Meine beste Freundin und ich lagen deswegen im Streit. Sie behauptete felsenfest, dass das Christkind ein Mädchen wäre, denn es brächte ihr jedes Jahr genau die richtige Puppe, mit dem passenden Kleidchen zum Anziehen, einem Kamm zum Frisieren und so weiter. Ihre provokante Frage: „Wüsstest du denn, welches Kleid am Besten zu meiner Lisa passt? Nein, denn das ist Mädchensache!“ ließ mich selbst kurz an meiner Jungen-Theorie zweifeln. Aber dann fiel mir ein, dass das Christkind doch auch mir jedes Jahr ein neues Spielzeugauto schenkte, das haargenau in meine Rennbahn passte. Da konnte sich doch nur ein Junge auskennen!
Ich wartete also, und ich wartete schon ziemlich lange, als ich plötzlich ein Geräusch hörte. Es kam eindeutig aus der Richtung des Fensters und ich glaubte zu erkennen, wie eine leichte Bewegung die Scheibe erzittern ließ. Und dann, ich erschrak, erschien es mir, das Christkind, ganz verzweifelt, weil es im gekippten Fenster steckengeblieben war. Ich gab keinen Mucks von mir, versteckte mich unter der Decke, lugte nur durch eine kleine Höhle darunter hervor und konnte beobachten, wie es nochmal zurückflog, das Fenster von außen genau inspizierte, die Hände prüfend an den Spalt hielt und sich am Lockenkopf kratzte, als ob es einen Plan schmiedete, wie es auf dem besten Weg hereinschlüpfen könnte. Und tatsächlich, beim zweiten Versuch klappte es, schwupps war es in meinem Zimmer, setzte sich federleicht auf das bereitgelegte Kissen, kostete von den Keksen, nahm einen Schluck Tee, als ob das alles selbstverständlich sei, es sah sich mein (extra) ordentlich aufgeräumtes Zimmer an, lächelte vor sich hin, flog kurz zu meinem Bett herüber und gab mir etwas von seinem Licht, um kurz darauf schon wieder auf und davon zu fliegen.
Kurz hielt ich still. Ich bewegte mich nicht. Versuchte mir zu erklären, was gerade geschehen war. Fragte mich, ob der kleine Engel nun ein Junge oder ein Mädchen gewesen war – alles ging so schnell und diese Frage schien an Wichtigkeit verloren zu haben. Da bemerkte ich plötzlich, dass das Christkind den Brief vergessen hatte! Wie Sollte es nun wissen, was ich mir wünschte? Welches Spielzeug heuer das Tollste war und was ich mir für meine Eltern ausgedacht hatte? Doch im nächsten Moment öffnete sich die Zimmertür und meine Mutter schlich auf Zehenspitzen herein. Sie schloss das Fenster vorsichtig, nahm sich einen Keks, trank einen Schluck Tee, sah sich aufmerksam mein (extra) aufgeräumtes Zimmer an, lächelte vor sich hin, steckte den Brief ans Christkind in ihre Hosentasche und schlich wieder hinaus.
Da wusste ich, dass die Geschenke wohl meine Eltern unter den Baum legen.
Später versuchten mir verschiedene Menschen einzureden, dass es kein Christkind gäbe, doch ich weiß, dass es nicht nur eines, sondern viele Christkinder gibt. Solche, die uns die Wünsche zu erfüllen versuchen, die wir aufschreiben können, basteln können, formulieren können. Und solche, die uns, einfach so, von ihrem Licht geben. Bedanken wir uns bei ihnen – vielleicht mit einem Keks?
Einen besinnlichen Advent und frohe Weihnachten wünscht der Proges!